London 1999. Ich hatte meinen Bachelor-Abschluss in der Tasche und keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.
New York, Barcelona oder doch erst an die deutsche Uni? Geld hatte ich keins. Aber mit Stipendien, Kneipenerfahrung und ner Menge Dusel war ich schon ganz schön weit gekommen - mit Herrn Dispo an meiner Seite.
London ist cool, aber New York ist cooler, fand ich damals. Nur hatte ich die Stipendienfrist verpasst, würde also noch ein Jahr warten müssen. Wollte ich das?
„Und Du, Eva? Wie geht‘s bei Dir weiter?“ wurde ich da eines Abends von Freunden in einer Londoner Kneipe gefragt. „Ich geh nach Berlin“, höre ich mich da zu meinem eigenen Erstaunen sagen. „Echt?“ „Ja. Habe ich soeben beschlossen.“
WG-Zimmer war in den kommenden Tagen mit einem Anruf organisiert, alle Formalia für die Uni-Einschreibung notiert und verinnerlicht.
Nur das mit dem Ticket nach Berlin war etwas komplizierter. Herr Dispo hatte mir zwischenzeitlich die Freundschaft gekündigt.
Aber Herr Dusel war noch da. Da das Returnticket mit dem Eurostar Paris-London billiger war das Einzelticket und dazu noch übertragbar, buchten Studenten aus Paris natürlich immer Return, auch wenn es von London aus ganz woanders hin ging. Ich fand so jemanden, kam also kostenlos „nach Europa“, wie die Briten sagten. Nur halt eben Paris. Nicht Berlin.
Ich bekam aber noch ein zweites Angebot. Eine Australierin hatte noch eine Fahrt mit ihrem Fünf-Fahrten-Ticket durch Europa offen. Kleiner Haken: „nur für Nichteuropäer“, „nur gültig in Kombination mit dem Pass“, „nicht übertragbar“, „nicht gültig in Großbritannien“. „Ich bin aber noch nie nach dem Pass gefragt worden“, sagte sie. Ich nahm also an.
Es stand damit fest: Erst nach Paris mit dem Eurostar, dann weiter mit dem Zug Paris-Berlin. Mit allen Umzugskoffern.
Ab Paris kam nur ein Nachtzug in Frage. Bloß nicht aus Versehen deutsch reden, wenn ich vom deutschen Schaffner auf deutsch aufgeweckt wurde, bläute ich mir ein. Ich schlief daher nicht, war zu unruhig, wartete auf die Kontrolle. Die kam. Ich war konzentriert. Und es ging gut.
Todmüde kam ich einen Tag später in Berlin an, schloss meine Koffer ein und telefonierte mit der WG. „Wohnungsschlüssel? Na ja, wir gehen jetzt halt auf die Loveparade, sind schon unterwegs. Komm halt dort vorbei.“
Die Laternenmasten haben Nummern, hätten sie im Radio gehört. Warum also nicht einfach um 2 Uhr an der Nummer 246 treffen?
Ich war skeptisch. Aber ich hatte keine Wahl, wenn ich schnell in mein neues Zimmer wollte.
Den Laternenmast gab es dann natürlich nicht. Andere Nummern auf Säulen schon, aber diese Nummer fehlte. Ich fragte die Polizisten danach. Die wiederum fragten mich, ob ich unter Drogen stehe. Ein Notarzt half. Diese Nummer war kein Mast, sondern ein Krankenwagenstellplatz. Da waren sie dann aber auch nicht. Frustriert machte ich mich auf den Rückweg.
Und traf dabei am großen Stern auf meine Freunde mit dem Schlüssel. Mitten im Getümmel der Loveparade. Auf der Straße des 17. Juni. Da tanzten sie vor mir, starrten mich an, konnten gar nicht glauben, dass ich sie gefunden hatte. Ich bekam meinen Schlüssel.
Das Abenteuer Berlin konnte losgehen im Sommer 99. Vor 20 Jahren.